Weibliche Kritikerinnen werden zur Zielscheibe von Beleidigungen | The Global Player

Katja Lihtenvalner
9 min readJun 15, 2021

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Helena Milinkovic. (Photo: Personal archive)

Hass-Kampagnen gegen Kritiker*innen

„Ich betrachte jede Drohung gegen einen Journalisten — egal ob weiblich oder männlich — als eine ernste Angelegenheit. Vor allem in diesem kleinen Land, in dem jeder jeden kennt, ist es kein angenehmes Gefühl, nachts allein durch die Straßen zu gehen, wenn man als Journalistin ins Visier genommen wirst”, gibt Helena Milinkovic, eine bekannte slowenische TV-Journalistin, zu.

Der politische Diskurs und die Medienberichterstattung in Slowenien haben sich in den letzten Jahren durch die Verwendung von hasserfüllten Inhalten, Desinformation und Fake News radikal und gefährlich verändert.

Viele Indikatoren zeigen, dass die Transformation der Medienlandschaft direkt mit der Politik des rechtspopulistischen Führers Janez Jansa, der derzeit als Premierminister fungiert, und seiner Partei, der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS), zusammenhängt.

In letzter Zeit vergeht kein Tag, an dem Jansa nicht persönlich Vorfälle im eigenen Land oder in Europa provoziert, die sowohl ihn selbst als auch Slowenien in Verlegenheit bringen.

Politische und öffentliche Kommunikation, die mit Verleumdungen, haltlosen Anschuldigungen und Verharmlosungen gespickt ist, wird in den sozialen Medien von Jansas Verbündeten, Mitgliedern seiner Partei und Anhängern unterstützt. Zielscheiben werden täglich gefunden, und viele Berichte zeigen, dass die Kampagne gegen Kritiker*innen systematisch geführt wird.

„Männliche Journalisten werden anders, weniger persönlich, weniger demütigend, beleidigt als Frauen. Bei Frauen verlieren sie jeden Anstand. Sie sprechen sie mit „Prostituierte, Press-tituierte, Abwäscherinnen, Söldnerinnen” usw. an. „Es ist deprimierend”, erklärt eine der Journalistinnen im Monitoring-Bericht des slowenischen Journalistenverbandes.

Mit jahrzehntelanger politischer Erfahrung, engen Verbindungen zu antidemokratischen Führern aus Osteuropa und der Sehnsucht nach Macht hat Jansa seit seiner Machtübernahme im März letzten Jahres seine Hauptangriffspunkte in den Kritiker*innen und führt seither seinen Kampf und offenen Krieg gegen die Medien.

„Sie verbreiten Lügen und stellen eine nationale Schande dar”

Alles begann 2016 mit der Gründung mehrerer neuer Pro-SDS-Nachrichtenkanäle, die von Investoren finanziert wurden, die mit Ungarns Premierminister Viktor Orbán verbunden sind.

Der Pionier dieses populistischen Spielbuchs innerhalb der EU war die Fidesz-Regierung von Orban. Seit sie 2010 an die Macht kam, hat die Partei langsam den Markt verzerrt und den Medienpluralismus abgebaut und eine gewisse Medienkontrolle erlangt.

Das ungarische Medienschema, so der Advocacy Officer des International Press Institute (IPI), Jamie Wiseman, weist bestimmte Merkmale auf, die auch in Polen festgestellt wurden, und Versuche, dieses Schema umzusetzen, werden seit Jahren auch in anderen Balkanländern unternommen.

Die Kampagne versucht, die journalistische Gemeinschaft, aber auch die Gesellschaft entlang politischer und ideologischer Linien zu spalten, indem sie einen Teil als „unpatriotische Organe der Desinformation, ausländische Agenten oder Spione” darstellt und einen fiktiven Feind schafft.

Für Milinkovic war der Versuch der Medienspaltung in Slowenien bisher nicht erfolgreich.

„Die einzigen, die in diesem Land gespalten sind, sind die Politiker. Die politischen Parteien, vor allem die Koalitionsparteien, versuchen, durch ihre Links-gegen-Rechts-Rhetorik eine Spaltung in der Gesellschaft zu verbreiten”, erklärt sie das politische Klima. Die Reporterin beruft sich auf ihre Professionalität und behauptet: „Journalist*innen können nicht gespalten werden, wenn sie den grundlegenden Prinzipien des Journalismus folgen.”

Milinkovic beschreibt, dass im neuen Medien-Alltag „jeder, der es wagt, die aktuelle Regierungspolitik zu kritisieren, als ,Linker, Kommunist oder Kulturmarxist, abgestempelt wird”.

Bei der Schaffung der Spaltung der Mediensphäre hat ein Flügel nur ein Ziel, die Arbeit der anderen Seite zu verunglimpfen, zu dämonisieren und zu diskreditieren.

Aber die Einschüchterungen und gezielten Angriffe werden von oben angeführt.

Jansa, ein Bewunderer von Donald Trump, hat gegenüber der Slowenischen Presseagentur (STA) von einer „nationalen Schande” gesprochen. Er hat den öffentlich-rechtlichen Sender RTV beschuldigt, „Lügen” zu verbreiten und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, und den Medienmitarbeiter*innen gedroht: „Offensichtlich gibt es zu viele von ihnen und sie werden zu gut bezahlt.”

Frauen — das Hauptziel

Während er männliche Kritiker nicht ausspart und sie als „Lügner” bezeichnet, konzentriert sich Jansa auch oft auf Frauen, die seiner Arbeit kritisch gegenüberstehen, besonders auf solche, die mächtig und in der Gesellschaft bekannt sind. Bei seinen Versuchen, sie zu diskreditieren, wird er von seinen engsten Verbündeten unterstützt, darunter einige Personen des öffentlichen Lebens, treue Politiker und seine Propagandamaschinerie.

Der hasserfüllte Kreuzzug gegen Kritiker*innen ist am offensichtlichsten in den regierungsfreundlichen Medien zu erleben, die mit Desinformation, Fake News und Hassreden gespeist werden.

„Der ungarische Milliardär George Soros hat die Kampagne von Tanja Fajon in keiner Form finanziert oder unterstützt. Tanja Fajon ist keine Soros-Söldnerin. Sie hat George Soros nie getroffen, nie mit ihm gesprochen oder je mit ihm in irgendeinem Kontakt gestanden. Sie hat auch nie Geld in irgendeiner Form vom Soros Open Society Institute erhalten”, erklärte die derzeitige Vorsitzende der Sozialdemokraten und Mitglied des Europäischen Parlaments, Tanja Fajon.

Photo: Printscreen Nova24TV.

Wegen gefälschter Informationen durch regierungsnahe Sprachrohre reichten Nova24TV und Demokracija Fajon eine Klage beim Journalisten-Ehrengericht ein und waren erfolgreich.

„Ich denke, das ist ein Teil des Kulturkampfes, den die Ultrakonservativen führen. Sogar in Slowenien können wir von Regierungsvertretern ähnliche politische Ideen über die Position der Frauen in der Gesellschaft hören, ähnlich wie in Polen gab es einige Gespräche über den Austritt aus der Istanbul-Konvention”, argumentiert Milinkovic und erinnert sich, dass in einem Fall der Premierminister selbst einen Beitrag retweetete, dass eine „weibliche Abgeordnete geohrfeigt werden sollte”.

Milinkovic war selbst Zielscheibe von Jansas Äußerungen, in denen sie als „Mudschahedin” angesprochen wurde, während sie über den Krieg im Nahen Osten berichtete. Sie ist regelmäßig Zielscheibe eines Kolumnisten von Nova24TV, Vinko Vasle, der sie erst kürzlich als „Lügnerin und Manipulatorin” bezeichnete.

„Meine persönliche Überzeugung ist, dass dies ein reiner Ausdruck ihrer Feigheit, des Mangels an Moral, Ethik und Dialogkultur ist. Ich glaube, sie haben den Eindruck, dass wir als Frauen schwach sind, dass wir uns von den Drohungen einschüchtern lassen und den Mund halten”, analysiert Milinkovic.

Zusätzlich sind diese Medienprovokateure besonders hart zu Frauen, die einen ethnischen Hintergrund haben, wie zum Beispiel vom Balkan. Zu den regelmäßigen Zielscheiben der SDS-nahen Medien gehört die prominente Schriftstellerin, Übersetzerin, Herausgeberin und Professorin Svetlana Slapsak.

Slapsak ist seit Jahren eine offene Kritikerin von Jansa und seiner Partei. Sie veröffentlicht regelmäßig ihre Kolumnen in der populären Samstagsausgabe der slowenischen Tageszeitung Večer und schont die SDS und ihre Führung nicht. Folglich wurde sie wegen ihrer serbischen Herkunft oft beleidigt, aber auch heftig schikaniert.

Slapsak ist eines der signifikanten Beispiele, wo der Treibstoff des Hasses aus der Online-Welt in die reale Welt übergeht: Die Fenster in ihrer Wohnung in Ljubljana wurden eingeschlagen, sie hat Briefe mit einem unbekannten weißen Pulver im Inneren erhalten und auch vulgäre schriftliche Drohungen bekommen.

Jansa, der Pate der Hassreden

Die Wurzeln für die Normalisierung von Hassreden in Slowenien in den sozialen Medien gehen auf die gleiche ideologische Figur zurück, Jansa.

Der derzeitige Premierminister, der von dem sozialen Medienservice Twitter besessen ist und deshalb auch als „Marschall Tweeto” bezeichnet wird, hat die Hassrede in sozialen Netzwerken im März 2016 infiltriert, als er zwei RTV-Journalisten als „abgewrackte Prostituierte” bezeichnete.

Da Jansa damals nicht gestoppt wurde, glauben viele Experten, dass dies höchstwahrscheinlich einen fatalen Effekt auf die Normalisierung der Hassrede in Slowenien hatte.

Das neue Phänomen war geboren, bei dem Beleidigungen, Einschüchterungen und hasserfüllte Kommentare direkt von der politischen Spitze, gefolgt von Ministern, Mitgliedern der SDS-Partei und Anhängern, produziert werden.

Die Frauen verklagten später Jansa wegen Verleumdung und waren beide erfolgreich, aber im Fall von Mojca Setinc Pasek hoben die überwiegend männlichen Richter des Obersten Gerichtshofs letztes Jahr die Entscheidung auf.

Photo: Printscreen Twitter.

„Ein durchschnittlicher Follower von Jansas Twitter-Profil konnte verstehen, dass sich der Tweet auf Setinc Paseks Arbeit für den öffentlich-rechtlichen Sender RTV und nicht auf ihr Privatleben bezog”, meinte der Oberste Gerichtshof.

Sie ordneten an, dass Setinc Pasek Jansa innerhalb von 15 Tagen für die Kosten des Rechtsstreits entschädigen muss.

Setinc Pasek bezeichnete die Entscheidung als „geradezu skandalös” und fügte hinzu, dass dies bedeute, dass Jansa — als Vorsitzender der größten parlamentarischen Partei und mächtigste Person im Land — jeden Journalisten oder Redakteur beleidigen könne, der etwas veröffentlicht, mit dem er nicht einverstanden ist.

Die Farce der zwei Journalistinnen ist noch nicht zu Ende und sie erhoben weiterhin auf höherer Ebene Anklage gegen ihn.

Eine weitere Abgeordnete des Europäischen Parlaments, die einst Journalistin war, Irena Joveva, wurde von Mitgliedern von Jansas Partei beleidigt: „Antislowenischer, hässlicher und dummer Balkan”.

Joveva sprach die Frage letztes Jahr an und sagte, dass sie „genug von den Beleidigungen hat”.

Gleichzeitig forderte Joveva den Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der SDS, der auch Miteigentümer von Nova24TV ist, öffentlich auf, dafür zu sorgen, dass „sein Portal aufhört, beleidigende, nationalistische und rassistische Artikel zu veröffentlichen, die Slowenien auf die berüchtigte Landkarte der Länder setzen, in denen die Regierung eine Partei ist, die systematisch Intoleranz, Hassrede und schädlichen Nationalismus verbreitet, was die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert auf tragische Weise geprägt hat”.

Aber Jansa ist nicht nur in Slowenien unhöflich, ignorant und beleidigend, sondern seine Rethorik hat schon längst die Grenzen überschritten.

Als die niederländische Europa-Abgeordnete Sophie in ‘t Veld im vergangenen März nicht bereit war, Jansas bearbeitetes Video während der Debatte über die Medienfreiheit in Slowenien abzuspielen, beschuldigte er sie der „Zensur” und verspottete sie: „Sie werden genug bezahlt, um Ihren Job richtig zu machen” und brach die Sitzung ab.

In einem anderen Vorfall beschuldigte er die Politico-Journalistin Lili Bayer, die sich kritisch zu seiner Kampagne gegen die Medien äußerte, „nicht die Wahrheit zu sagen und absichtlich Quellen mit Namen und Integrität zu vernachlässigen”.

Der Einsatz von gezielten Drohungen, Mobbing und haltlosen Anschuldigungen ist in Slowenien ein Verbrechen.

Opfer suchen nach Gerechtigkeit

Die Verwendung von Hassreden sind nach Artikel 297 des Strafgesetzbuches illegal in Slowenien.

„Wer öffentlich zu Hass, Gewalt oder Intoleranz aufgrund von Ethnie, Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit, Geschlecht, Herkunft, Vermögen, Bildung, sozialem Status, politischer oder anderer Überzeugungen aufruft oder diese verbreitet”, kann strafrechtlich verfolgt werden, heißt es in dem Artikel.

Die Tat kann mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Doch der Kampf um Gerechtigkeit vor den slowenischen Gerichten ist lang und dornig.

Im Februar dieses Jahres wurde ein Ex-Journalist und treuer Unterstützer der SDS, Martin Cesenj, wegen hasserfüllter Twitter-Posts zu sechs Monaten Gefängnis mit einer zweijährigen Bewährungsfrist verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, Intoleranz zu verbreiten und dabei Hass über den Social-Media-Account Twitter zu verbreiten. Sein Twitter-Konto wurde sofort gesperrt.

Photo: Printscreen Twitter.

Nach Angaben der Hotline „The Online Eye” untersuchte die Polizei im Jahr 2020 115 Fälle von Online-Hassvergehen. Die von der Universität Ljubljana, Fakultät für Sozialwissenschaften, koordinierte Monitoringgruppe übergab der Polizei insgesamt 64 Fälle. Das sind dreimal mehr als ein Jahr zuvor und im Durchschnitt viermal mehr als in der Vergangenheit.

Da der Weg zur Suche nach Gerechtigkeit unabsehbar ist, gibt Milinkovic zu, dass es Fälle gibt, in denen sie und ihre Kollegen, während sie systematischer Einschüchterung ausgesetzt sind, anfangen, Selbstzensur zu betreiben.

Sie selbst verließ vor zwei Jahren Twitter wegen ständiger Angriffe, Beleidigungen und sogar Drohungen durch rechtsextreme Trolle.

„Sie beleidigten meinen Vater, die meisten Beleidigungen waren mit meinem Nachnamen Milinković und dem Migrationshintergrund meiner Eltern verbunden. Bis zu einem gewissen Grad halten diese bis heute an”, erinnert sie sich und erklärt den gut geplanten Ansatz, sie zu diskreditieren und sogar in den sozialen Medien einzuschränken:

„Zuerst versuchten sie, mich über ihre Kanäle zu diskreditieren, dann füllten sie meine E-Mail-Accounts, meine Twitter-Walls und meldeten sogar bei Facebook, dass ich ein Bot sei. Ich konnte eine Zeit lang nicht auf meinen Account zugreifen”, beschreibt sie.

Milinkovic gibt zu, dass der psychologische Druck in vielen Fällen zu groß ist und viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus diesem Grund die sozialen Medien verlassen haben.

Jansas Slowenien verwandelt sich in ein hasserfülltes Schlachtfeld, geschaffen von den eigenen paranoiden Ideen ihres Anführers, gefüllt mit Verschwörungstheorien und behindert durch die unsichtbaren Strukturen des „Deep State”, in dem täglich Feinde gefunden werden. Das Propaganda-Medienschema wurde offensichtlich aus dem benachbarten Ungarn übernommen und breitet sich nun alarmierend im einst politisch friedlichen, malerischen und bescheidenen Slowenien aus.

Im Hinblick auf die im Juli beginnende EU-Ratspräsidentschaft erweist sich dies als besonders unangenehm.

Originally published at https://www.theglobalplayer.org on June 15, 2021.

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Katja Lihtenvalner
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Written by Katja Lihtenvalner

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