„Die Polizei genießt Straflosigkeit und die Regierung ist nicht gewillt dies zu stoppen”
Interview mit dem führenden Anwalt im Prozess gegen die politische Neo-Nazi-Partei „Golden Dawn”.
Thanasis Kampagiannis ist ein griechischer, politischer Aktivist, und Mitglied der sozialen Arbeiterpartei (SEK), und darüber hinaus auch Anwalt. Aber nicht irgendein Anwalt: seit mehr als 20 Jahren verfolgt er griechische Neo-Nazis und versucht sie vor Gericht zu bringen. Kein leichter Job! Kampagiannis, Gründer der Initiative Jail Golden Dawn, ist einer der einflussreichsten antifaschistischen Anwälte des Landes. Er ist Mitglied der Anklagebehörde im vierjährigen und andauernden Prozess gegen die Mitglieder und Anhänger der neonazistischen Partei Golden Dawn. Die Gruppe von Anwälten untersucht mit klarer Präzision und Entschlossenheit die Verbrechen der Neonazis „etwas, was die Polizeibehörden hätten tun sollen”, erklärt er uns in seinem Büro in Athen. Kampagiannis demonstriert anhand besonderer Beispiele die Beteiligung von Polizeibeamten an Nazi-Verbrechen im letzten Jahrzehnt. Er bleibt pessimistisch, als wir ihn nach der Zukunft fragten, wenn die griechische Justiz bereit sein wird, straffällige Polizeibeamte, zu verfolgen und zu verurteilen.
Erst eine allgemeine Frage: Wo liegen die Verbindungen zwischen „Golden Dawn” und der griechischen Polizei?
Viele Jahre herrschte eine Situation, die wir als „Zustand der Straflosigkeit“ im Sinne der Golden Dawn-Kriminalität bezeichnen könnten. Alle Aussagen stützen sich hierbei auf Tatsachen und liegen jenseits von ideologischen Vorstellungen oder Bindungen. In vielen Fällen war die griechische Polizei während der kriminellen Aktivitäten von Golden Dawn süffisant, griff nicht ein oder half mit.
Was meinen Sie mit „helfen”? Wie halfen sie?
Was wissen derzeit, dass Goldendawners in den vergangenen Jahren (seit 2008) vor allem in zwei Gegenden Athens außerordentlich aktiv waren. In diesen Gegenden waren die hochrangigen Polizeibeamten der Sicherheitsabteilung der Polizeistation, die sich um die Strafsachen kümmert, Golden Dawn entweder freundlich gesinnt oder arbeitete mit ihnen zusammen. Das ist unsere Annahme, weil wir wissen, dass Mitglieder von Golden Dawn in diesen Gebieten Gruppen gegründet hatten, die innerhalb ihrer Gruppe eine ähnliche Rolle spielten wie Polizeitruppen: Sie gingen in Geschäfte, die Immigranten gehörten, und überprüften ihre Aufenthaltserlaubnis. Wenn sie keine hatten oder selbst wenn sie eine hatten, zerschlugen sie die Geschäfte. Sie haben Einwanderer gejagt, sie ausgeraubt, sie geschlagen und andere Straftaten begangen. Wir sprechen hier von Einheiten, die einer paramilitärischen Struktur ähneln.
Gibt es dieses Phänomen gegenwärtig immer noch?
Wir können da nicht sicher sein. Wir können zuversichtlich über frühere Fälle sprechen, da wir das Untersuchungsmaterial haben und das Problem offensichtlich war. Immer, wenn Anwälte Opfer von Einwanderern vertraten, versammelte sich innerhalb von zehn Minuten eine örtliche Einheit der Goldenen Morgenröte vor den Polizeibüros. Wir können solche Ereignisse von damals in Zusammenhang setzen. Heute können wir das nicht mehr mit der gleichen Gewissheit sagen.
In der Nacht des 12. Juni 2012 wurden vier ägyptische Fischer von circa 20–25 Mitgliedern der GD überfallen. Sie vertreten diese Fischer im Gerichtssaal. Inwiefern war die Polizei in diesen Fall verwickelt?
Die Polizei war während des mörderischen Angriffs auf die Fischer nicht anwesend, aber ihre Aktionen waren alarmierend, und es zeigt, dass das Problem nicht nur auf niedrigem Niveau liegt. Glücklicherweise hat in diesem Fall die Polizeieinheit, die zum Tatort gerufen wurde, ihre Arbeit getan. Sie fanden Mitglieder der Goldenen Morgenröte mit T-Shirts der Partei, verhafteten sie und brachten sie zur Hauptpolizei-Station in Athen in die Alexandra Avenue. Doch dann zogen die inhaftierten Männer im Hauptquartier ihre T-Shirts aus. Die T-Shirts sind entscheidend für das Verständnis der Motivation und Identität der Angreifer. Die Polizisten im Hauptquartier hatten ihnen erlaubt, ihre Kleidung zu wechseln.
Was bedeutet „erlaubt”? Hat die Polizei so getan als würde sie nichts sehen oder brachten sie sie in einen anderen Raum und erlaubten ihnen, die Shirts zu wechseln?
Wäre das in einer örtlichen Polizeistation passiert, müsste man annehmen, dass jemand sich einfach blind gestellt hat. Da es aber im Hauptquartier der Polizei passierte, können wir davon ausgehen, dass das auf höherer Ebene ausverhandelt worden ist. Weil man sich natütlich die Frage stellen muss, wie es Polizisten innerhalb des Hauptquartiers überhaupt möglich ist,
dass so etwas geschieht, ohne dass jemand Höheres in der Hierarchie davon Kenntnis hat.
Die Polizei ist ein zu wichtiger Faktor, als dass man sich vor den Folgen einer strafrechtlichen Verfolgung nicht fürchten müsste.
Und was passierte danach mit den inhaftierten Mitgliedern der Golden Dawns in diesem Fall?
Soweit wir wissen haben sie Fotos von den Verhafteten gemacht, was bei einer strafrechtlichen Ermittlung normal ist. Vorm Bezirksstaatsanwalt erklärten sie dann: „Sie können die Kleidung sehen, die ich trage, ich habe nichts mit den Angreifern zu tun. Die Anschuldigungen sind falsch und ich bin unschuldig.“ Das ist natürlich erstaunlich! Polizeibeamte versorgten die Täter mit der Hauptverteidigung.
Wurde dieser Sachverhalt im Prozess verhandelt?
Die Polizistin, die die verhafteten Mitglieder von Golden Dawn zu den Polizeistationen brachte, sagte dies vor Gericht eindeutig aus. Wir zeigten ihr die Fotos und sie erkannte sie, sagte aber, dass sie während ihrer Verhaftung andere T-Shirts trugen.
Diese Tatsachen wurden im Gerichtssaal enthüllt. Welche rechtlichen Konsequenzen wird es geben?
In dem Prozess gegen Golden Dawn geht es nicht um die Beteiligung der Polizei an den kriminellen Aktivitäten. Das Gericht könnte Anklage erheben. Sie könnten aufgezeichnete Beweise an den Bezirksstaatsanwalt senden und dann neue Ermittlungen einleiten. Aber ich glaube nicht, dass so etwas passieren wird.
Nachdem der griechische Rapper Pavlos Fyssas im Herbst 2013 ermordet wurde, gab es einige Versuche von Behörden, die an den Verbrechen von Golden Dawn beteiligten Polizisten ausfindig zu machen. Der damalige Minister für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, ordnete eine spezielle interne Untersuchung wegen der Beteiligung von Polizeibeamten an den Verbrechen der Goldenen Morgenröte an.
Die Untersuchung war sehr schwach; In Wirklichkeit war es nur eine Verschleierung. In nur zehn Fällen fanden sie „Polizeibeamte, die direkte oder indirekte Verbindungen zur Goldenen Morgenröte hatten“, um den von ihnen veröffentlichten Bericht zu zitieren. In Wirklichkeit war es etwas, das inszeniert wurde, damit die Polizei sagen konnte: „Sieh uns an, wir haben etwas getan, wir untersuchen uns selbst.”
Was ist nach dem Bericht der Polizeibehörden passiert? Gab es irgendwelche Konsequenzen?
Nichts. Mehr noch: Polizeibeamte haben nach einer Weile den Bericht von ihrer Hauptwebsite entfernt. Wir behielten jedoch die Version bei, die die Polizei auf unserer Webseite „Jailgoldendawn“ veröffentlichte, und beschlossen, eine individuelle Untersuchung durchzuführen. Wir haben nichts Ernstes getan, sondern nur Medienberichte überprüft. Wir haben über 30 Fälle gefunden.
Als Initiative „JailGoldenDawn” haben Sie eine Menge von Daten von Beweisen gesammelt, die sehr klare Zusammenhänge zwischen Golden Dawn und den Polizeibehörden aufzeigen. Planen Sie als Anwalt, in Zukunft etwas damit zu tun?
Wir haben die zuvor erwähnte Umfrage durchgeführt, aber das reicht nicht aus. Man müsste ein großes Team von Anwälten haben, um daran zu arbeiten. Es sollte auch eine politische Kampagne sein; es kann nicht nur ein Anwalt tun. Man kann eine politische Kampagne gegen Golden Dawn starten, wie wir es jetzt beispielsweise tun. Aber es ist viel schwieriger, dasgleiche gegen korrupte Polizei zu unternehmen. Es gibt ein viel höheres Maß an Straflosigkeit, wenn Sie Anklage gegen die Polizei erheben wollen. Sie brauchen auch Ressourcen.
Was müsste sich auf institutioneller Ebene ändern, damit Polizeibeamte, die sich so schuldig gemacht haben, vor Gericht kommen?
Ich glaube nicht, dass die Polizei ideologisch reformiert werden kann. Abgesehen davon denke ich, dass es eine große politische Kampagne geben sollte. Es sollte auch rechtliche Konsequenzen für Menschen geben, die Verbindungen zu Golden Dawn hatten: Sie sollten von der Polizei ausgeschlossen werden und es sollte Anklage gegen sie erhoben werden. Es sollte auch etwas mit den Polizeibeamten geschehen, die am Tatort ihre Arbeit nicht taten.
Wird der Tag kommen, an dem die politische Situation in diesem Land so ist, dass die Beamten für ihre Straftaten belangt werden?
Das ist eine politische Frage. Man sollte meinen, dass wir unter der aktuellen Regierung solche Bedingungen bereits haben, da sie nicht Teil des alten politischen Systems sind. Sie kannten das Problem, sie beschrieben es als Teil ihrer politischen Aufgabe, aber als sie in die Regierung kamen, schlugen sie eine andere Richtung ein. Das zeigt, wie tief das Problem sitzt. Vielleicht zeigt es auch, dass jedes politische Establishment ihre Zustimmung erteilen muss, und sie einen solchen Prozess einfach nicht eröffnen können.
The article was originally published in the print version of The Global Player .